Das „Temu-Dilemma“ – wie kurz darf man denken?

Porsche
Vorneweg: Großartige Marken sind toll. Ich mag innovative Unternehmen. Ich liebe coole Produkte, die das tun, was sie können sollen. Ich mag gute Marken-Stories. Ich mag Ingenieurskunst, Entwicklergeist, Prozesse. Ich bin Fan von Qualität. Und natürlich ist die Markenwelt nicht rosa durchgefärbt, deshalb mag ich auch unsere Verbraucherrechte in Deutschland und Europa. Ah, und noch etwas: Ich glaube nicht, dass ich mit dem Recht auf Produktbesitz zur Welt gekommen bin. Zu gerne besäße ich zwar eines dieser unfassbar umwerfenden Teile aus Zuffenhausen, doch herrjeh – man ahnt es schon – das bleibt mir verwehrt. Schlimm? Nö.

Und jetzt zum eigentlichen Thema

Ich bin auf der Suche nach einer Vintage Hecktasche für meine Triumph Scrambler XC 1200. (Btw: Ist das nicht ein echt cooles Bike?!)

Ich durchstöbere also das Onlineangebot und stoße auf den-die-das unvermeidliche Temu. Mein Blick bleibt hängen, weil ich ein bekanntes Marken-Logo wiedererkenne, das natürlich beim genauen Hinsehen leicht verändert ist. Daneben lese ich positive Produktbewertungen aus Deutschland. Ob sie echt oder fake sind, keine Ahnung. Statistisch gesehen wird es schon so sein, dass auf der Plattform Temu auch von hiesigen Bikerinnen und Bikern fleißig Motorradzubehör gekauft wird.

Direkt regt sich mein Puls. Sicherheit? Markenrecht? Arbeitsplätze? Nachhaltigkeit?

Während die Hersteller von Motorrädern, Bekleidung und Zubehör in Deutschland, in der EU, in den USA Unmengen von Standards, Normen und Vorschriften zur Sicherheit beachten müssen – damit wir Motorradfahrer nicht auf oder mit gefährlichem Schrott unterwegs sind – kauft man auf Temu Produkte ohne CE-Kennzeichnung, deren Materialien nicht nach unseren Standards geprüft sind. Was, wenn die Hecktasche einfach abfällt bei 140 km/h auf der Autobahn? Wir machen als Verbraucher einen Riesen-Hype, wenn ein Blinker flappert, kaufen aber Motorradzubehör bei Temu? Darüber hinaus unterstützen wir fragwürdige Arbeitsbedingungen, untergaben Zölle, freuen uns über billige Preise auf Kosten von fairen Löhnen für Menschen in anderen Ländern. Wir tragen Praktiken mit, die wir für uns selbst im Leben nicht akzeptieren würden.

Dass Logos und Designs namhafter Marken kopiert werden, daran haben wir uns schon irgendwie gewöhnt. Weshalb werden diese Produkte dennoch gekauft? Wie kurz muss man in der Konsequenz denken, um billigen Fake zu unterstützen? Nicht selten heben genau diese schlauen Zeitgenossen den Zeigefinger „And whatabout…?“ Dass sich manche Firmen ebenfalls mehr um ihren Profit als um Natur und Menschenrechte zu scheren, ist doch keine Entschuldigung.

Tja.

Es ist nicht nur eine Frage der persönlichen Sicherheit oder der Fairness. Unser individuelles Kauf-Verhalten ist gesellschaftlich und wirtschaftlich relevant, ob wir das einsehen oder nicht. „Ist mir egal“ trifft einen in Summe am Ende selbst.

Zurück zur Überschrift – und für Interessierte: Der NDR hat ganz aktuell über Temu recherchiert. Mehr Informationen findet ihr hier.